Wo der Wiener Donaukanal vom Hauptstrom der Donau ins Innere der Bundeshauptstadt abzweigt, liegt abseits der Touristenpfade ein wahres Architekturjuwel Otto Wagners, das nicht nur Fans der Baugeschichte Wiens begeistert: das ehemalige Schleusengebäude der Wehr- und Schleusenanlage Nussdorf. Weit vorgelagert am Brigittenauer Sporn dominiert der klassisch-sezessionistische Bau seine Umgebung und fasziniert mit kunstvollem Jugendstil-Dekor, außergewöhnlicher Flachdachkonstruktion und einer bemerkenswerten Geschichte. Errichtet im Zuge der Donau-Regulierung Ende des 19. Jahrhunderts und einst sogar mit Dienstwohnungen ausgestattet – unter anderem für die Leitung der Donau-Regulierungs-Commission – waren anschließend bis 2015 in dem Verwaltungsgebäude Organisationseinheiten von viadonau untergebracht. Seit 2017 ist es Heimat der Stadt Wien – Magistratsabteilung MA45 – Wiener Gewässer

Verwaltungsgebäude

Das ehemalige, für den Betrieb des Hochwasserschutzes und der Wehranlage errichtete Gebäude (Betrieb des Sperrschiffes und Nadelwehr) ist Teil der von Otto Wagner (1841 - 1918) geplanten und von 1894 bis 1899 errichteten Wehr- und Schleusenanlage Nussdorf. Zwischen 2016 und 2023 wurde das Dach mit seiner außergewöhnlichen Beobachtungsstation, der sogenannten „Laterne“, und das Innere des Gebäudes saniert sowie die Fassade nach Vorgaben des Denkmalschutzes originalgetreu restauriert. Ursprünglich als Teil des Wiener Hochwasserschutzes errichtet, steht das Gebäude unter Verwaltung der DHK.

Jugendstiljuwel in ursprünglicher Schönheit

Bei der Sanierung und den Restaurationsarbeiten der historischen Bausubstanz orientierte man sich streng an Erkenntnissen akribischer Forschung zum ursprünglichen Erscheinungsbild, das zuvor gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt genau rekonstruiert worden war. Dabei bestätigte sich z. B., dass Otto Wagner das Gebäude monochrom weiß errichtet hatte, während die Fenster braun gestrichen waren. Mit der originalgetreuen Erneuerung gelang ein Spagat zwischen dem Erhalt eines wertvollen Kunst- und Architekturzeugnisses Wiens und einer zeitgemäßen Nutzung als runderneuertes Verwaltungsgebäude. Auf vier Ebenen bietet es nun modernisierte Büro- und Sozialräumlichkeiten. Der begehbare Dachaufsatz mit Rundblick – heute ein lichtdurchfluteter Besprechungsraum – diente in früheren Jahren zur Hochwasserbeobachtung der Donau. Bei Hochwasser wurde einst sogar eine rot-weiß-rote Kugel mit einem Durchmesser von einem Meter aufgezogen, um die Schifffahrt über die Sperre des Donaukanals zu informieren.

Wehr- und Schleusenanlage

Kunstvoll gestalteter Hochwasserschutz

Wie für die Belle Époque typisch, wurden auch technische Anlagen im urbanen Umfeld Wiens im kunstvoll-architektonischen Zusammenspiel mit ihrer städtischen Umgebung gedacht. Otto Wagner hatte die Wehranlage in Nussdorf als Stadttor verstanden und sie entsprechend als eindrucksvollen Blickfang gestaltet. Zu den vielen Besonderheiten der Anlage zählt zweifellos die Schemerlbrücke (benannt nach dem Wasserbaumeister und Leiter der Donauregulierung Joseph von Schemmerl), die, wie die gesamte Anlage, von 1894 bis 1898 errichtet wurde. Mit knapp 50 Metern den Donaukanal überspannend erfüllt die Fachwerkkonstruktion nicht nur eine klassische Brückenfunktion, sondern war sowohl statisch als auch betriebstechnisch als integraler Bestandteil der Wehranlage geplant. Die Anlage war ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Hochwasserschutzes in Wien. Bis heute schützt das Wehr die Wiener Innenstadt vor Hochwasser und regelt es gemeinsam mit einem in den 2000er Jahren errichteten Kraftwerk die Wassermenge im Donaukanal.

Ein Blick in den 1920 entstandenen Baubericht des Unternehmens Brüder Redlich & Berger gibt neben konstruktionstechnischer Akribie alter Schule auch Aufschluss über die zeitgenössischen Überlegungen und den Stolz rund um den Bau des Wehrs, das bald seinen großen Nutzen unter Beweis stellen sollte:

„(…) die stete Rücksichtnahme auf eine allfällige Gefährdung am Donaukanale gelegener Teile Wiens (erforderte) eine ungemein sorgfältige Baudurchführung (…). Wie erfolgreich (…) gearbeitet worden ist, erwies das kaum ein Jahr nach Beendigung des Baues aufgetretene katastrophale Donau-Hochwasser des Jahres 1899, das nahezu den oberen Rand der (…) Schützentafeln erreichte, ohne daß das noch frische Bauwerk irgendwelche Mängel zeigte.“

Bronzene Wächter am Strom

Spektakulär erscheinen auch die markanten Skulpturen, die beidseits hoch über dem Widerlager an der Kaimauer thronen. Im wahrsten Sinne herausragende Erscheinungen, wachen auf massiven Pylonen die vom Bildhauer Rudolf Ritter von Weyr gestalteten Löwen in aufmerksamer Haltung an diesem Eingangstor zur Stadt Wien, genau dort, wo einst Hochwasser und gewaltige Eisstöße das Stadtgebiet gefährdeten. Einer der Pfeiler trägt übrigens in goldenen Buchstaben den Wahlspruch Kaiser Franz Josefs: „Viribus unitis“ (Mit vereinten Kräften).

Das Schifffahrtstor zur Stadt Wien

Die Schleuse Nussdorf wurde, wie die Wehranlage, ebenfalls bereits in den 1890er Jahren errichtet, in den 1960er Jahren runderneuert und besteht bis auf geringe Anpassungen bis heute in seither nahezu unveränderter Form. Insbesondere für die Ausflugsschifffahrt bildet die Schleuse Nussdorf den wichtigsten Zugang zu den Anlegestellen und touristischen Hotspots am Donaukanal in Innenstadtnähe. Insbesondere für Rundfahrten um die “Inselbezirke” Leopoldstadt und Brigittenau wird die Schleuse genutzt. Im Gegensatz zu den Schleusen am Donauhauptstrom, wo VERBUND für die regelmäßigen Revisionen zuständig ist, sorgt hierfür an der Schleuse Nussdorf die Donauhochwasserschutz-Konkurrenz DHK.

Kraftwerk & Fischtreppe

Trotz Staustufe können hier Fische wandern!

Eingefügt in die denkmalgeschützte Wehr- und Schleusenanlage ist seit 2005 das Kleinwasserkraftwerk Nussdorf in Betrieb. Mit einer mittleren Leistung von 3,2 Megawatt liefert es Strom für rund 10.000 Haushalte. Damit Gewässerorganismen die Staustufe des Kraftwerks überwinden können, wurde 2017 eine Fischtreppe errichtet. Das kanalartige, 320 Meter lange Wasserbauwerk untertunnelt die Zufahrt zur historischen Schemerlbrücke und fügt sich Dank umfangreicher Spezialtiefbauarbeiten auf engstem Raum in das Otto Wagner-Ensemble ein. Für die Wanderung überwinden die Fische einen Höhenunterschied von 3,6 Meter und durchqueren hierfür 37 „Wanderbecken“. Die Wiederherstellung der Fischpassierbarkeit erfolgte gemäß den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie und des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans. Die Umsetzung erfolgte durch die Donauhochwasserschutz-Konkurrenz gemeinsam mit dem Kraftwerksbetreiber.